Birdman
(oder: die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Wie genau wollt ihr den Film erklärt haben? Fangen wir mal dezent an. Wenn dieser Film nicht jeden verfügbaren Preis in diesem Jahr für seine Kameraleistungen erhält, werde ich mir nie wieder eine Oscar-Verleihung ansehen. Nicht mal mehr, wenn es ein fiktionaler Film über einen Academy Award ist. Good bye, Nackte Kanone 2 1/2.
Der Film zeigt ab der ersten Sekunde, dass er nicht das ist, was den geneigten Michael Bay-Fan im Kinosessel lässt. Ich dachte an den Moment zurück, als ich im Kino saß und "Inglorious Basterds" ansah. Es lief gerade der Quasi-Dialog (Filmanfang), der Christoph Waltz zu seinem Oscar verhalf. Ihr wisst, die deutsch-französische Szene in dem kleinen Bauernhäuschen. Als hinter mir jemand sagt: "Gott, ist das langweilig." Ich drehte mich um, nahm seine Billigbier-Flasche und rammte sie ihm durchs Auge in die Synapsen. Zumindest in Gedanken. Der Film-Gott hätte es so gewollt. Ich schweife ab.
Vergleichbar damit ist aber die Eröffnungsszene von "Birdman" mit einem mehr als überzeugenden Michael Keaton in der Hauptrolle. Ich denke, es ist nicht gespoilert (weil: Eröffnungssequenz) wenn ich verrate: Michael Keaton (oder besser: seine Rolle Riggan Thomson) meditiert in seiner Künstlergarderobe. Und zwar schwebend. Frei im Raum. Ohne Grund. Nicht die einzige Szene, die solche Fähigkeiten zeigt. Aber sie macht dem Zuschauer schnell klar: Ich bin kein Film wie alle anderen, Popcorn-Gesicht. Ich bin anders. Und damit hat er recht ...
Es dauerte zugegeben lange. Sehr lange für einen Cineasten. Ich denke mal, so irgendwo zwischen fünf bis sieben Minuten sind verstrichen bis ich mir irgendwann dachte: "Moment mal ... wurde da jetzt eigentlich schon irgendwo mal geschnitten?" Wenn man sich an den weiteren gut 110 Minuten orientieren darf, war die Antwort klar: nein.
Es ist eine astreine One-Shot-Produktion, alles mit einer Kamera gedreht, die komplett einfach nur durchläuft. Na ja, zumindest gefühlt. In einigen Szenen wird klar, da muss jetzt geschnitten worden sein. Aber allein die Vorstellung, dass dies nicht der Fall gewesen wäre, macht die Kamerafahrten um so beeindruckender. Dann kam der zweite heftige WTF-Moment und ich hätte mir eine Fernbedienung fürs Kino gewünscht. Aber zum Glück kam dieser Effekt noch öfter - unbemerkt - so ganz nebenbei, als wäre es die einfachste Sache der Welt: Kamera vor dem Spiegel. Aber: Kamera unsichtbar. Und wir reden hier immer noch von einem One-Shot-Film.
Da wurde also der Spiegel nicht durch eine Glasscheibe ersetzt und auf der anderen Seite standen die Zwillinge der Schauspieler (siehe: Terminator II - Tag der Abrechnung. Da war das nämlich so). Es waren immer noch durchgehende Szenen ohne Cuts, Kamerafahrten vor dem Spiegel und wechselnde Personen innerhalb der Sequenzen. Da braucht es doch etwas mehr als nur Greenscreen und Adobe After Effects. Aber es ist wie bei einer guten Zaubershow: man will gar nicht wissen, wie es funktioniert. Man freut sich nur darüber. Für Filmfans (Nein, Michael Bay macht KEINE Filme. Er macht Fastfood!) ist das ein regelrechter Genuss - wenn man sich auf eine etwas abgedrehte Erzählkunst einlässt, die aber gleich sowas von gar nichts mit Realismus am Hut hat.
Mein Urteil für diesen Film - und so möge es für alle Zeiten gepriesen sein:
Dieser Streifen schafft es bereits jetzt in meine All-Time-Favorits. Und das völlig unabhängig von Michael Keatons Geschichte. Wer diesen Zusammenhang noch wissen möchte. Riggan Thomson (Michael Keaton) spielte vor 20 Jahren in einer Comicverfilmung den Birdman. Was für ein Zufall, was? Dieser Film brachte ihm Ruhm und Geld, Frauen und Fame - ganz ohne Social Networks. Doch dann verschwand er in der Versenkung und niemand hörte mehr etwas von ihm, bis er - 20 Jahre später - ein Theatherprojekt nach New York brachte um irgendwie ein Comeback aus der Bedeutungslosigkeit zu schaffen. Mit diesem Stück steht und fällt alles, was ihn darstellt, was er ist, was er war. Und aus der Vergangenheit meldet sich (meist aus dem Off) immer wieder sein Alter Ego Birdman. Spricht mit einer sehr rauen, dunklen Stimme, die stark an den Christian Bale'schen Batman erinnert.
Okay, und wer jetzt noch Starthilfe braucht. Birdman ... Batman ... Riggan Thomson spielte Birdman und 20 Jahre hört man nix von ihm, bis zu diesem Comeback-Versuch. Michael Keaton spielte vor 20 Jahren Batman und seitdem hat man auch nicht gerade viel von ihm gehört - bis Birdman. Und genau dieser Hintergrund verpasst dem Film eine Art Dramatik, die man in dieser Form nur selten in einem Film erreichen kann.
By the way: dieser Film wird Oscars gewinnen. Das ist so sicher, wie ein weiterer Batman-Reboot in ein paar Jahren. Solange müsst ihr nicht warten, ich werde euch (vorher mir) schon bald wieder etwas neues vor die Linse knallen. Bis dahin, bleibt anständig.